Freies Musiktheater
In der Oper wird nicht gemordet!
Freistil – Das etwas andere Musiktheater
In der Oper wird nicht gemordet! Eine Aussage, die so provokant wie falsch ist, denn natürlich wird in der Oper gemordet – vielfach, mitunter äußerst fantasievoll und immer singend. Aus der Begegnung dreier Figuren der Gattung „Opernmörder“ entspinnt sich ein Abend voller tödlicher Begegnungen, großer Stimmen und absurder Szenen. Denn drei Mörder sind meist mindestens einer zu viel. Hier treffen bekennende Schurken auf sich duellierende Ehrenmänner, eifersüchtige Gatten auf Berufsverbrecher. So viele Untaten auf einmal können nicht ungesühnt bleiben und so geht es im Wahnsinnsgalopp geradewegs Richtung Hölle – aber immer mit Stil und der Musik von Mozart bis Verdi.
Das etwas andere Musiktheaterformat „Freistil“ gibt sich in dieser Spielzeit gewitzt und mörderisch umweht von einem Hauch theatralen Aberglaubens. Seien Sie gespannt!
Trailer
Besetzung
Musikalische Leitung
David Wishart
Inszenierung
Lisa Henningsohn
Bühne, Kostüme & Video
Eva Humburg
Texte & Dramaturgie
Katja Pfeifer
Inspizienz & Abendspielleitung
Frida Jasper, Lisa Henningsohn
Mit: Bassem Alkhouri, Alexandru Constantinescu, Thomas Rettensteiner
Nachrichtensprecherin Elke Zeh
Der Opernmord gehört verboten! Oder doch nicht?
Am Theater Vorpommern wird das schon mal musiktheatralisch diskutiert.
Apostrophiert wird das Ganze recht augenzwinkernd als „Musiktheaterabend mit Mordsmusik von Don Giovanni bis Wozzeck.“ Gebraucht werden dafür ein Tenor(Bassem Alkhouri), zwei Baritone (Alexandru Constantinescu und ThomasRettensteiner), eine substanziell viel Wichtiges verkündende Nachrichtensprecherin(Elke Zeh) und ein „Chef“, der am Flügel für die Leitung und die ziemlich anspruchsvolle Begleitung diverser Opernpartien verantwortlich ist (David Wishart).Die Inszenierung liegt in den Händen von Lisa Henningsohn, Bühne, Kostüm und Video stammen von Eva Humburg, die Dramaturgie besorgte Katja Pfeifer, die zusammen mit der Regisseurin sowohl die Texte schrieb als auch die gesamte Stückentwicklung erarbeitete; die wieder sehr lesenswerten Programmheftbeiträge sowieso!
Dort geht es um die natürlich nicht ganz ernst gemeinte Fiktion, das traditionelle Opernrepertoire von Tod, vor allem aber dem verbreiteten Mord, also lebensgefährlicher Gewalt auf der Bühne zu befreien. Das wird hier so argumentativ wie ironisch sehr unterhaltsam abgehandelt, letztlich aber eine tragfähige Zustimmung als nicht machbar bezeichnet, weil damit der wichtigsten Effekte eines fesselnden Bühnengeschehens (emotionaler Höhepunkt der Oper, Empathie des Adressaten) beraubt. Fantasie aber darf sich doch schon mal an der Frage entzünden, was obige, zugegeben provokante Fragestellung an amüsanten Gedankenspielchen zu bieten vermag. Über Sprechtexte aus einem Bühnen-Fernseher auf den Kern gebracht etwa Folgendes: Der Kultursender Vorpommernverkündet, dass erfreulicherweise der am 1. April 2024 vom Opernrat (!) herausgegebene Achtsamkeitserlass (!) erste Früchte trage, denn ein Rückgang der Opernmorde sei zu verzeichnen und neue, alternative Bühnenfassungen wären bereits erfolgreich. Letzte unbelehrbare Bühnenverbrecher würden sukzessive aus dem Theaterbetrieb genommen (Spezialeinheit „Clean Stage“). Ihnen werde mit Resozialisierungsmaßnahmen der Weg in eine gewaltfreie Bühnenlaufbahn geebnet. Ein Expertenteam sammle Mordinstrumente jeglicher Art ein und sichere deren Katalogisierung und Archivierung. Im Übrigen wären schon diverse Opern hinsichtlich Libretto und Musik von Verbrechen befreit und könnten wieder in die Spielpläne aufgenommen werden. (Es folgen witzig klingende Beispiele miterheblichem Gruselfaktor! Nicht ganz undenkbar: das Ganze als Seitenhieb auf ausuferndes Regietheater?! ).
Soweit also der Handlungsstrang, an dem sich die drei Protagonisten herumhangeln. Sie lernen sich übrigens erst hier kennen und fragen sich zunächst recht vorsichtig zu ihren jeweiligen Bühnenkarrieren (Morde!) aus, was hübsche Dialoge etwa zu individuellen Befindlichkeiten oder zur jeweiligen „Spezialisierung“ ermöglicht; neckische Seitenhiebe auf Stimmlagen und entsprechende Eignung für Mörder oder Opfer inbegriffen. Sie tun das vor Riesentischen mit zahllosen Mordwerkzeugen - und wenig Verständnis für ihre jetzige „Strafarbeit“, die mit den großen, meist enthusiastisch gefeierten Erfolgen als Gewalttäter auf den Bühnen dieser Welt so gar nicht zusammenzupassen scheint. Nun sind sie hier, um in dieser „Besserungsanstalt für eigentlich unverbesserliche Opernmörder“ ihre standesgemäßen Arbeitsgeräte durch – siehe oben – Katalogisieren und Archivieren von den Opernbühnen dauerhaft zu verbannen. Natürlich lustlos und uneinsichtig, sich wehmütig und in entsprechend skurrilen Dialogen an große Auftritte erinnernd. Übrigens: Sie halten sich für nicht gebührend wertgeschätzte Experten, die doch der wichtigen Aufgabe obliegen, „kathartisch“ zu wirken und es dem Publikum zu ermöglichen, das Theater mental „gereinigt“ zu verlassen. „Kurz gesagt“ – so im Text zu lesen – „Man lässt auf der Bühne morden, um es zu Hause nicht selbst tun zu müssen.“ Wenn das keine Optionen sind! Aber schon vergessen? Wir sind im Musiktheater! Deshalb folgen, ganz realistisch gespielt und gesungen, die schönsten (!), eindrücklichsten (und eigentlich verbotenen) Beispielszenen. Dies passend verbal vorbereitet, als Solo, in Duetten oder Terzetten von Verdi (Otello, Don Carlo), Tschaikowski (Ewgenij Onegin), Weill (Dreigroschenoper), Puccini (Il tabarro), d´Albert (Tiefland),Berg (Wozzeck) und Mozart (Don Giovanni).
Um die Negativa des beschriebenen Berufsstandes nicht überborden zu lassen, vielleicht auch als Wiedergutmachung möglicherweise beschädigter Zuschauergemüter haben die Autorinnen – dabei nur scheinbar die Realitätsebene wechselnd – zwischendurch auch mal eine Lanze für die sängerische Schwerstarbeit der Berufs-“Unholde“ gebrochen, von wegen „Extremsituationen“ und so. Hilft aber nicht wirklich viel, denn es bleibt die Feststellung, dass es zu viel Ärgerliches auf der Welt gebe, um einfach nur friedlich zu bleiben. Eigentlich sei das unmenschlich.
Konfrontiert wird der Musikfreund nach rund 60 Minuten mit der Gewissheit, dass nun, nach weitgehender Abschaffung der Opernmorde die theatrale Mord- und Wahnsinnslust einer niederschwelligen Zufriedenheit weicht“. Die neue Alternative: „die Opera lavabile, die abwaschbare Oper – klinisch rein und frei von Konflikt, Gewalt und Emotion.“
WOW! Und das als wirkliche Alternative??? Da bleiben wir doch lieber beim Bisherigen und damit ganz bei den Schöpfern des Stückes. Ihnen ist die konflikthafte Wirkungsmacht der Oper dann doch zu wichtig. „Und das nicht obwohl, sondern weil in ihr gemordet wird. Wer wollte das verbieten?!“
Kein Zweifel: Unterhaltsam ist dieser Ausflug in provokant andersartige Gedankengänge unbedingt. Zumal das, was uns das Sängertrio Bassem Alkhouri, Alexandru Constantinescu und Thomas Rettensteiner sowie Pianist David Wishart musikalisch präsentierten, hinsichtlich sängerischer Präsenz und Kompetenz, komödiantischer Verve, sichtlicher Spiel- und Sangesfreude keine Wünsche offenließen.
Ekkehard Ochs für IOCO